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HEAVEN 17 - von Diedrich Diederichsen (Sounds Februar 1982)

Wenn es zwei Plattenkritiken gibt, die ich bereue, sind es die Reviews der ersten und zweiten Human-League-LP. Selten unentschlossener gewesen, selten größeren Quatsch zusammengeschrieben. Und wenn sonst ein Urteil nach spätestens zwei Monaten reift, ist mir bei Human League noch eine Idee gekommen. Und jetzt soll bei Heaven 17 alles klar sein ? Daß künstlerische Klasse oft nichts mit Persönlichkeit, Genie oder Charakter, gar Integrität des Künstlers zu tun hat, ist eine alte Weisheit. Oft sind die größten Blödmänner mit irgendeinem partikularen Talent gesegnet, und andere, die die Welt wirklich verstehen, produzieren unentwegt nur Sülz und Schund. Künstler wissen nicht, was an ihnen gut ist, die Ausnahmen sind selten und zu große Selbstkenntnis für die eigene Entwicklung sogar gefährlich. Selten hab ich aber schon in den vorliegenden Produkten so ein krasses Nebeneinander von blödester Verblendetheit, ja nachgerade schockierender Dummheit und großer Klasse gefunden wie bei den ersten beiden Human-League-LPs. Und auch Martyn Ware. der einerseits, wie ich die zweite Seite der Heaven 17-LP PENTHOUSE AND PAVEMENT als Fortsetzung seiner Arbeit an League TRAVELOGUE begreift, aber andererseits TRAVELOGUE inzwischen prätentiös findet, kann nicht erklären, nie aus der verkifften Note dieser netten, traurig-schönen Melodien so plötzlich eine kämpferische wurde.

Und ich weiß, daß die Welt nicht so einfach ist: Hier Martyn Ware und Ian Marsh, die klugen, Melodien schreibenden, politisch engagierten Heaven 17-Macher, dort die verblödete Restgruppe mit Modepopper Phil Oakey und Dia-Debilo Adrian Wright. Nein, so einfach ist das Leben nicht Wir wissen das ja.

Was auch den heutigen Human-League-Rest trotz eines Minimums an Einfällen hörbar und in Ansätzen reizvoll macht ist dasselbe, was mich in eigentlich völlig verblödete Styling-Schüler-Cafes treibt: die glatte, saubere Oberfläche der Unbedarftheit, die ruhigen Flächen, die Unaufdringlichkeit eines erzblöden, aber hübschen Menschen, Urlaub von Argumenten und hektischer Sinnstiftung, billige Badeferien im polierten Land des Nichts, der Nichtse, der perlenden Schaumkronen des Spätkapitalismus. Hübsch, dumm und morgen vergessen, wem will man das übel nehmen ?

Anders Heaven 17, deren Einsatz viel größer ist. Die schwermütigen Human-League-Melodien nur ihrem europäisch-tiefsinnigen Flair im Marschgepäck, gründen sie ausgerechnet eine Produktionsfirma nach dem Modell der Chic-Organisation und flirten mit Funk und (!) großer Politik. Und sie schneiden glänzend ab. Das erste Stück, das sie schreiben, wird der ganz große Glücksfall. Lassen wir Martyn Ware erzählen: 'Human League verschlang auf Tour ungeheuer viel Geld, wir hatten nur ungenügende Umsätze, um diese Kosten zu decken. Wir wollten uns einschränken, aber Phil Oakey wollte den großen Erfolg. Da ich den größten Teil des Materials geschrieben hatte, gab er mir die Schuld an unserem Problem, nicht ganz nach oben gekommen zu sein. Er versuchte, mich hintenrum aus der Gruppe zu schmeißen, doch lan Marsh warnte mich und entschloß sich, zu meiner Überraschung, mit mir zusammen die Gruppe zu verlassen und eine Songschreiber-Partnerschaft zu starten. Daraus wurde dann B.E.F. (British Electric Foundation), unsere Firma. Wir schlossen einen Vertrag mit Virgin, der uns drei Jahre lang verpflichtet, mit drei Gruppen LPs zu machen. Im ersten Jahr mit der ersten, im zweiten Jahr eine mit der ersten und eine mit der zweiten und im dritten Jahr die dritte der ersten, die zweite der zweiten und die erste der dritten Gruppe. Heaven 17 wurde diese erste Gruppe. Glenn Gregory wurde unser Sänger; er sollte damals schon Human-League-Sänger werden, was daran scheiterte, daß er nicht in Sheffield lebte. Der erste Song, den B.E.F. schrieb, sollte eine Art Hommage und auch Parodie der englischen Disco-Charts werden. Wir sahen uns die Titel durch und sammelten all diese Funk-Slang-Ausdrücke, die immer wieder auftauchen: Groove, get down, thang, good time dancing etc. Schließlich hatten wir einen schnellen Funk-Titel fertig und er hieß 'We Don't Need That Groove Thang'. Wir waren bester Laune und sahen fern und hatten eine Party, und plötzlich hatte ich Schnipp! - eine Idee: 'Wir machen noch eine Prise Pop Group dazu'. Die Pop Group hatte damals Furore gemacht mit Songtiteln wie 'How Much Longer Do We Tolerate Mass Murder?', total überdrehte, absurde Polit-Texte. Das paßte irgendwie zu den anderen Funk-Absurditäten wie Groove und Thang. Und als ich sagte: 'We Don't Need This Fascist Groove Thang', haben wir uns bepißt vor Lachen. Es war ein großer Spaß. Zwei Tage später wurde Reagan gewählt, und der Song bekam eine völlig neue Wahrheit. Wir haben ihn etwas aktualisiert, und er war plötzlich hochpolitisch, wurde im Radio verboten, rechte Organisationen schickten uns Drohbriefe, und wir bekamen Angst vor Schlägerkommandos.

Martyn Ware ist in der Tat ein recht intelligenter Mensch, auch wenn er sich unmöglich anzieht (wahrscheinlich gerade deswegen), fast sind die Dinge etwas zu klar bei ihm. Ich fand beim 'Groove Thang' so besonders gelungen, daß die musikalische Sprache den politisch-historischen Drive des amerikanischen Neo-Heavy-Stupid-Conservatism so treffend nachzeichnete und gleichzeitig im Untergrund und sonstwo zum Tanzen benutzt wurde.. Ware: 'Es war ein guter Widerspruch in sich. Wir hatten einen der radikalsten linken Songs gemacht, und die Leute haben dazu getanzt statt zu sinnieren und dann zusprechend zu applaudieren.' Der Durchbruch der Agitation auf den Tanzboden. Großstadt-Gesinnungs-Guerilleros in leicht verunglückten Junior-Chef-Anzügen. Eine wichtige Geschichte bei B.E.F./Heaven 17 scheint ihre Welteroberungsstrategie zu sein, ihr Gestus als weitumspannende, geheininisvolle Firma, allgegenwärtige Agenten der Subversion. 'Sicher hast du recht, unser Image als Firma spielt eindeutig mit solchen Phantasien. Andererseits sind wir wirklich eine Firma. lan und ich sind B.E.F., ein Unternehmen, das Songs liefert, Produktionen übernimmt, Auftragsarbeiten durchführt und mehrere Gruppen fährt. Wir wollen unser Unternehmen auch erweitern, weitere Songschreiber mitarbeiten lassen, die Buchhaltung an Spezialisten abgeben etc. Ich finde es wichtig, daß man von dem herkömmlichen Selbstverständnis der meisten Rock'n'Roll-Bands wegkommt. Unsere Idee, eine Firma zu bilden, ist ein Schritt dahin. Wir wollen nichts mit diesen elenden Mythen zu tun haben, die durch die Touring-Routine gebildet werden. On the road und der ganze Scheiß.'

Ihr distanziert euch auch von dem Habitus der engagierten Band, die ihren Protest als persönlich, subjektiv, von innen kommend, vorführt, die sich außerhalb der Produktionsverhältnisse stellen zu können meint und quasi als unabhängige Stimme des Menschen klare Mißstände anprangert, sich also völlig in idealistischen Illusionen verheddert. Klar, ein Aspekt des Firmen-Image ist, daß wir nicht verhehlen, selbst ein profitorientiertes, kapitalistisches Unternehmen zu sein. Insofern sind wir viel radikaler als die meisten sich aufrührerisch gebärdenden Bands, die noch in der Protest-Tradition der Sechziger stehen. Erstens nennen wir Dinge beim Namen und zweitens sind wir offen, was unsere eigenen Produktionsbedingungen betrifft.'

Was ließ Heaven 17 nun den gemütlichen Sessel hinter dem Mischpult mit hanseatischen, bzw. bayrischen Monsterdiscos tauschen? Schließlich gibt es allent halben genug Arbeit. Nicht nur, daß die Gruppe von ihren Songs auf Singles, 12 inchs, Cassetten als B.E.F. ständig diverse Versionen veröffentlicht (manchmal recht überflüssig), darüber hinaus hatte man gerade für die Disco-Tänzer mit Ballett-Ambitionen Hot Gossip eine LP mit eher dürftigen Resultaten zusammengestellt, benannt nach einem Heaven-17-Erfolgstitel GEISHA BOYS AND TEMPLE GIRLS (Ware: 'sicher, die Vocals sind etwas dünn, aber es war eine Auftragsarbeit und sehr lehrreich. Daß dabei unsere eigenen Songs wiederverwendet wurden, war nicht unsere Idee, Hot Gossip wollte das so.'), und sich gleich darauf an eine neue Platte gemacht, die im Moment ihrer Diskotheken-Tour zu zwei Dritteln fertiggestellt ist. Die Ware/Marsh Lieblingsoldies werden von Prominenten zu B.E.F.-Backing neu interpretiert. Dabei scheinen B.E.F. in der Auswahl der jeweiligen Sänger über ebensoviel Humor wie Menschenkenntnis zu vertilgen. Sandie Shaw singt ein Cüla Black-Liedchen (Erinnert sich einer an Guy Pellaerts geniales Cilla Black-Gemälde in Nik Cohns 'Rock Dreams', ein Meisterwerk des sozialistischen Realismus? John Foxx schlüpft in die überaus passender -wenn auch leicht zu hoch gegriffene Rolle des ewigen Greiners (mit Stil!) Roy Orbison. Und das Soul-Meisterwerk 'Ball Of Confusion (That's What The World Is Today, Hey Hey!)' von dem Temptations harrt noch eines Sängers, aber da der im Moment kontraktlose James Brown kurz vor einem Abschluß mit Virgin steht, soll seine Teilnahme schon fast sicher sein.

Und vieles mehr. Klar, daß man dabei Spaß hat. Laß John Foxx greinen, schiebe die Schach-Figuren des Pop-Alltags hin und her. Laß Adam Ant 'ABC' von Jackson Five singen und Kim Wilde ein paar ShockingBlue-Nummern. 'Das Spiel mit Menschenschicksalen', sagte Dr. Mabuse 1922.

'Daß wir jetzt auf Tourgehen, ist ein Kompromiß. Wir wollen keine Konzerte, wir wollen in einer funktionierenden Disco auftreten, wo vor uns getanzt wurde und nach uns getanzt wird. Wir verstehen uns da nur als ein kleiner Bonbon zwischendurch, der für uns natürlich Promotionzwecke hat. 'Mit prophetischen Fähigkeiten gesegnet' wende ich ein, daß es funktionierende Discos in Deutschland nicht gibt. Es mag gerade noch hingehen, wenn man in München im 'Why Not' auftritt, wo auch ansonsten eine Musik gespielt wird, die mit der neuen Tanzerei zu tun hat, wo es also auch sonst möglich wäre, Heaven 17 zu hören. Dies geht aber nicht in Hamburgs 'Trinity', wo normalerweise nie ein Heven-17-Fan auftauchen würde. Die, die dann kommen, während Heaven 17 im Schneegestöber im Taxi sitzen und über die Bedeutung des Wortes 'Funk-Taxi' kichern, erwarten ein Konzert, Rock'n'Roll-Konzert, Stimmung. Mindestens die Verdoppelung der Wirkung, die die Platte zu Hause auf sie hat. Die Ware Stimmung für DM 12, mindestens eine Stunde. Die wenigsten wissen, daß auch sonst in diesem Laden an Wochenenden 10 Mark Eintritt genommen wird und sich ihr Eintrittspreis folglich so zergliedert: DM 10 für die Ware Disco (Studio54-Nachbau, ehemals als Tanztempel konzipiert - in Hamburg kann es keine Tanztempel geben), DM 2 für die Ware Konzert. Die Empörung über die drei wäre sicher geringer gewesen. Was haben sie sich zu Schulden kommen lassen? Mit aufgerissenen Augen, Mäulern, Körperöffnungen steht die Menge starr, frontal auf die Bühne fixiert und wartet. In England tanzt man zu diesem Zeitpunkt bereits (zu besserer Musik, versteht sich). Die drei kommen auf die Bühne, 'Ah-Oh-Ah!', und sehen sich mit der unmöglichen Aufgabe konfrontiert, diesen Block von Masse zu bewegen. Und das mit präparierten Tapes, eher linkischen, aber niedlichen Gesten und mit zwei dünnen und einer guten Gesangsstimme, mit der sich Glenn Gregory, von der Situation verunsichert, oft versingt. Die Tapes waren z.T. neu arrangiert (tolle Bläser bei 'The Height Of The Fighting' und ebenso lustige kreisende Bewegungen mit der rechten Hand, die in einem gereckten Zeigefinger endeten beim Kehreim: 'Hey-La-Ho!!!!!'), aber das wurde bei diesem halbstündigen Fiasko kaum bemerkt. Die Leute fühlten sich verarscht. Ich hasse dieses Wort und die ihm zugrunde liegende grundnörgelige Geisteshaltung, die vor allem zum Ausdruck kommt, wenn ein Hamburger dieses Wort ausspricht: Ffeoscht. Heaven 17 wollten, nein, besser B.E.F. wollte sein Produkt Heaven 17 vorstellen, so wie der Mann von der Hamburg Mannheimer seine Produkte vorstellt. Dies finde ich eine grundsympathische, nette Idee. Anti-Rock, Anti-Helden, nett.

'Wir hassen die Barrieren, die ein Rock-Konzert aufbaut. Dieses Einem-Künstler-Lauschen, der ganze Mythos des Progressiven, der Leistung, des Könnens auf der Bühne. Das ist das Gute an der neuen Tanz/ Disco-Bewegung. Daß diese Barrieren niedergerissen werden, daß diese kleinbürgerlichen Kunstideen verschwinden. Gute Tanzmusik ist eben nicht das Eigentum einer Klasse. Ich habe nicht mal Vorurteile gegen Boney M. 0.K., bis jetzt haben sie nur schlechte Platten gemacht, das weiß ich auch. Aber sie sind nicht schlecht, weil sie Boney M. sind. Morgen könnten sie eine tolle Platte machen, und dafür will ich offen sein.' (Martyn Ware).

Was Heaven 17 vergessen, ist, daß auch ohne Rock'n'Roll-Mythen, auch in der Disco, auch im allerneuesten Zeitalter, auch im Jahre 2000, keine Bühnenpräsentation funktionieren kann ohne Fluidum, ohne irgendeine Form von Suggestion, von Kommunikation, von Kontakt. Heaven 17s live-Gig war nicht so völlig ohne, aber nahe dran, sich selbst zum Verschwinden zu bringen. Man reißt aber keine Barrieren nieder, indem man sich selbst verschwinden läßt.

Trotzdem war das Hamburger Publikum doof, aber das hat andere Gründe. Konzertzuschauer sind eben Kunden. Kunde sein ist immer etwas peinlich, was in dein dem Akt des Umtauschens einer nicht zufriedenstellender Ware gipfelt. Kaufen ist peinlich. Sich beschweren ist peinlich. Am allerschlimmsten ist das Nörgeln. In diesem Gestrüpp von entwürdigenden Peinlichkeiten der Konsumgesellschaft treten Heaven 17 die Flucht nach vorne an. Und stolpern ab und zu.