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HEAVEN 17 - Intelligenter Pop zwischen Disco und Politik - von Frank Eyssen

Vor rund eineinhalb Jahren schrieb ich: Sind 'Orchestral Manoeuvres In The Dark' die Romantiker des neuen britischen Techno-Pop, 'The Human League' die (Pseudo-)Funky-Popper, was sind dann 'Heaven 17' ? Meine damalige Antwort: 'Heaven 17' sind die Analytiker, die Karikaturisten. Nun nach weiteren Produkten der drei (den Mantel des Schweigens hüllen wir über 'The Human League', die Erkenntnis, daß man in England eifrig 'Kraftwerk' hört, hört man bei 'OMD') steht 'Heaven 17' noch immer unangefochten vorn, haben mit 'The Luxury Gap' einmal wieder einen Trumpf in der Hand.

'Heaven 17' ist ein Trio. Da sind Ian Craig Marsh und Martyn Ware. Und da ist Glenn Gregory. Die beiden erstgenannten mit 'Human League'-Vergangenheit (bevor Phil Oakey die Band musikalisch in die Popperecke ausmanövrierte), alle drei mit gemeinsamer Vergangenheit in Sheffield. Und das ist seit den Tagen von Joe Cocker eher als Provinznest verschrieen gewesen. 'Das hat uns zumindest nicht zu früh auf irgendeinen falschen Trip gebracht. In London hängst du nur rum, glaubst du bist sonstwas - nein, wir mögen die Londoner Szene ebensowenig wie 'The Human League' oder Maggie Thatcher.' Ian Craig und Martyn Ware, die beide nebenbei auch noch das 'British Electric Foundation' (B.E.F.)-Projekt starteten, sind Spezialisten für Sythesizer, pfiffige Programmierungen und technische Perfektion. In Glenn Gregory haben sie für ihre Musik den richtigen, manchmal souligen Sänger. So heben sie sich von den rein technisch orientierten Bands ab - Gregory peitscht die oft sarkastischen Texte durch den direkt ins Tanzbein gehenden Rhythmus. Zusammen kochen die drei das wohl heißeste (und intelligenteste) britische Pop-Süppchen. Mit der Debüt-LP 'Penthouse & Pavement' lieferten sie einen Knüller, der gleich durch einige zeitlose Songs besticht: '(We Don't Need This) Fascist Groove Thang' - 'The Height Of The Fighting' - Klassiker, die wohltuend in Kopf und Bauch landeten, anregten, aufforderten...

Nach dieser 'Heaven 17'-Scheibe voller Zynismus, Kritik und Analyse zum Zeitgeschehen folgte eine Aufarbeitung der eigenen frühen musikalischen Vergangenheit: 'Music Of Quality And Distinction', das erste 'B.E.F.'-Produkt. Produkt und auch als solches verstanden. Ian Craig und Martyn Ware sehen Musik als Ware, entmystifizieren den das Geschäft vernebelnden Rummel. 'Music Of...' ist eine Einspielung alter Klassiker mit unterschiedlichen Interpreten. Nicht von der Schärfe, die man von 'Heaven 17' erwarten kann. Und nun präsentieren Craig, Ware & Gregory das zweite Werk von 'Heaven 17': 'The Luxury Gap'. Intelligent, sarkastisch, zynisch - überlegt und nie nur schlagworthaft. Musikalisch zwischen Disco und Techno, zwischen Soul, Funk, Pop, und, und, und. Craig und Ware verfügen über die seltene Gabe, nicht in Schubladen zu denken - und ihre Musik dementsprechend frei und selbständig zu gestalten. 'The Luxury Gap' zeigt das, zeigt auch, daß weiße Sänger den Soul haben können, ohne in ABC/Martin Fry-hafte Schmiererei und Glitter absinken zu müssen. Glenn Gregory darf für sich in Anspruch nehmen, Martin Fry vergessen zu machen. Seine Texte sind eh um Klassen intelligenter. 'The Luxury Gap' beschäftigt sich mit unterschiedlichen, oft in der Popmusik verbannten Themen. 'Crushed By The Wheels Of Industry' sei genannt - musikalisch genial umgesetzt. 'Heaven 17' greifen in die Vollen, zitieren setzen neu zusammen, haben Stil - kurzum: 'The Luxury Gap' ist ein weiterer Knüller aus dem Hause Craig, Ware & Gregory. Noch besser - sie wollen nun auch fleißig an einem Live-Konzept arbeiten.