ARTICLES AND REVIEWS

ne Lanze für die Da-da-da (nicht Dada)-Lyrik brechen. Ich möchte lediglich darauf hinweisen, die eigenen Erwartungen an den Schöpfer solcher Zeilen nicht zu hoch zu schrauben und Ansprüche an ihn zu stellen, die man selbst nur mittelmäßig erfüllt. Denn es handelt sich hier in erster Linie um Musiker und nicht um die zornigen jungen Leute von Greenham Common, den Grünen oder der CND.

Heaven 17 gelten als clevere Popgruppe, weil sie eine zeitgemäße Tanzmusik mit kritischen Textaussagen verbinden, die beweisen, daß sie in ihren Köpfen nicht nur Computerprogramme abspulen. Welche Ansprüche verfolgen sie mit ihrer Musik? 'Es soll Popmusik mit guten Texten sein. Manche Leute scheinen aber zu glauben, daß wir eine Art marxistischer Keimzelle sind und die Popmusik nur dazu dient, um unsere politischen Ideen zu vertreten. Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, woher dieses Image kommt. Wir sind in erster Linie Musiker, aber auch bewußt denkende Menschen, und daß drückt sich in unserer Musik aus.' Heaven 17 stammen aus Sheffield, dem Zentrum der britischen Stahl- und Bergbauindustrie. Ian sympathisiert mit den Forderungen der streikenden Minenarbeiter. Aber außer einen passiven finanziellen Unterstützung der Labour Party sieht er für sich keine Form des Engagements: 'Mir fehlt die Zeit, und ich sehe keinen Sinn in einer Mitgliedschaft, die nur auf dem Papier existiert.' Glenn Gregory und Martyn Ware gehören der Labour Party an. Da Martyn jedoch erst nach einer guten Stunde auftaucht, bleiben Fragen nach Mitarbeit und seinem 'Arbeiter-Status' unbeantwortet.

Nachrichten aus der Pop-Fabrik - "How Men Are"

Nachrichten aus der Pop-Fabrik

Wo der siebte Himmel liegt, weiß ich nicht. Aber der 17. Himmel residiert in den beengten Räumlichkeiten eines unscheinbaren Hauses in der Nähe des Londoner Britischen Museums. Auf dem Wege dorthin frage ich mich, ob den drei Männern, die ihr jüngstes Werk 'How Men Are' betitelten, wohl einige jener maskulinen Attribute aus Herbert Grönemeyers Selbsteinschätzung zuzuordnen sind.

I Heard A Voice This Night Live Via Satellite

Die Stimmen dringen nicht via Satellit zu mir, sondern aus den Kopfhörern meines Walkman, als ich mir ein Demo-Tape des neuen Albums anhöre. Einiges klingt höchst befremdlich mit monumentaler Orchesterbegleitung. Drei 24-Spur-Maschinen wurden benötigt, die später mittels eines 'keyclocks' synchron geschlossen wurden, um die endgültige Fassung herzustellen. Anderes klingt vertraut fairlightprogrammiert, aber nie nach synthetischer Hausmannskost. Liveauftritte, um das Album zu promoten, wird es auch diesmal nicht geben. 'Wir waren mit den Human League viel unterwegs', erklärt Martyn dazu. Trotzdem brachten es die alten Human League nicht sehr weit, was den Plattenverkauf angeht. Heaven 17 dagegen haben bewiesen, daß man auch ohne Tour einen Song in die Charts bekommen kann.' Die drei hätten auch gar keine Zeit für eine Tour. Zwei Drittel des Jahres arbeiten sie an neuem Material für Heaven 17. Das restliche Drittel braucht Martyn für sein Hobby: für die B.E.F-Popmusikfabrik produziert er Künstler, die er mag: Tina Turner, Billie Mac Kenzie, Nick Plytas. Die Fans werden also auf die visuelle Präsentation des Trios verzichten müssen, denn auch im neuen Video treten sie nicht in Erscheinung. Aber wozu gibt’s schließlich die gute alte Kamera?

How Men Are

Martyn Ware und Glen Gregory lassen auf sich warten. Ian Craig Marsh weicht meiner vorwitzigen Frage, wie Männer denn nun seien, mit diplomatischem Geschick aus. Zurückhaltend erklärt er, dies sei nur eine Zeile aus einem der neuen Songs. Ich lächele freundlich und warte ab, bis er zögernd mit einigem herausrückt, was seine Rolle als Mann angeht: 'Man(n) kann sich selbst als Sexist bezeichnen, und wahrscheinlich bin ich das auch bis zu einem gewissen Grad. Ich denke, daß das männliche Rollenverhalten sehr viel mit Konditionierung zu tun hat, und deshalb ist es nicht schwer, sich zu verändern und nicht alles als selbstverständlich hinzunehmen.'

Ich brauche Ian nicht zu beschreiben, er nimmt mir das ab. Verschwiegen sei er, meint er, und kein besonders entgegenkommender Mensch. Er hält sich anderen gegenüber zurück und wartet erst einmal ab, ehe er sich bewegt. Ein Einzelgänger, der nichts von Massenveranstaltungen hält, in seiner Freizeit Handbücher über technisches Equipment liest und am liebsten mit der Freundin, die sich für alternative Heilverfahren und Therapien interessiert, alleine ist. Typischer Skorpion, tippe ich und treffe prompt ins Schwarze. The Age Of Miracles Is Through

Ich halte es für einen weitverbreiteten Unsinn zu glauben, ein Popmusiker, der sich in seinen Texten mit den Mißständen unserer Zeit auseinandersetzt. Müsse als Konsequenz daraus aktiv etwas dagegen unternehmen. Häufig setzt er sich statt dessen zwischen alle erreichbaren Stühle, gilt plötzlich als 'spokesman of a generation' oder stellt fest, daß sich politisches Engagement vermarkten läßt. Ich will an dieser Stelle kei-

Author : Karin Aderhold
Source: Musik Szene 10/1984 / How Men Are Release


Thanks to Volker Buettner for this text and to Claudia Prendke for providing complete scan to rebuild original layout