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Retrospektive by Dirk Hoffmann in Zillo 10/98

Heaven 17 - 80er Jahre Edel-Pop im neuen Gewand

Mit einer gerade zu bewundernswerten Hartnäckigheit halten sich Sheffielder Electro-Acts, die sich Ende der 70er/Anfang der 80er anschickten, der Popmusik eine neue Ästhetik und ein komplett neues Gesicht zu verleihen, auch noch in den turbulenten 90ern im Musikzirkus. Neben ABC, Cabaret Voltaire und Human League zählten auch Heaven 17 lange Zeit zu den Vorreitern des New Wave, verschwanden aber nach ihrem sensationellen 82er Hit-Album "The Luxury Gap" immer mehr in der Versenkung. Vielleicht erregt Was ungewöhnliche Remix-Doppelalbum "Retox/Detox" (Eagle Rock/edel) wieder etwas mehr Aufsehen, haben klassische Heaven-17-Hits wie "Fascist Groove Thang", "Temptation", "Let Me Go" oder "Come Live With Me" durch Remix-Größen wie Adrian Sherwood, Molella, Freddie Fresh und Rhythm Masters doch einen zeitgemäßen Anstrich verpaßt bekommen.

Photo 1998

Beeinflußt von den Pionieren experimenteller und populärer elektronischer Musik wie Stockhausen, Cage, Neu, Can, Tangerine Dream und Kraftwerk einerseits, dem Glam-Rock von Roxy Music und David Bowie sowie den nordamerikanischen Funkbands Parliament und Funkadelic andererseits, haben sich 1978 Philip Oakey, Martyn Ware, Ian Craig Marsh und Adrian Wright zusammengeschlossen, um mit Ians selbstgebastelten Synthesizern und den ersten Roland- und Korg-Geräten zu experimentieren. Gleich mit der ersten Single "Being Boiled" landete die als Human League getaufte Band einen Independent-Hit, worauf sich ihre ersten beiden Alben "Reproduction" (1979) und "Travelogue" (1980) bei Virgin veröffentlichen konnte. Zwar erreichten Human League einen respektablen Ruf, doch der rechte Durchbruch wollte ihnen nicht gelingen. Als man mit ansehen mußte, wie Gary Numan fast aus dem Nichts 1979 mit "Are Friends Electric?" die Charts stürmte, führte das Gefühl, nach zwei Alben noch nichts erreicht zu haben, zur Auflösung der Band. Da Phil Oakey als Sänger und Adrian Wright als Visualist eher als Human League identifiziert wurden als die im Hintergrund agierenden Martyn Ware und Ian Craig Marsh, behielten erstere den alten Bandnamen bei, wahrend Ware und Marsh die Produktionsfirma British Electric Foundation ins Leben riefen. Auf der Suche nach einem neuen Sänger kontaktierten die beiden ihren alten Freund Glenn Gregory, den sich 1972 bei einem Theaterprojekt in Sheffield kennengelernt hatten. Man nannte sich – auf einem Plattencover aus Kubricks Kultfilm "Clockwork Orange" basierend – Heaven 17 und landete mit der Debütsingle "(We Don't Need This) Fascist Groove Thang" gleich einen Hit, der zeitgemäße Tanzmusik mit kritischen Textaussagen zu verbinden wußte. Das nachfolgende Debütalbum "Penthouse & Pavement", das als ein europäisches Pendant zu den US-Labels Staks und Motown gedacht war, wurde allseits als funkiges Electro-Groove-Meisterwerk gefeiert, das im selben Studio mit dem annähernd gleichen Equipment entstand wie Human Leagues ebenfalls bahnbrechendes Pop-Album "Dare".

Der große Durchbruch gelang Heaven 17 schließlich mit dem 82er Masterpiece "The Luxury Gap", einer durchweg perfekt arrangierten Sammlung zeitloser Pop-Perlen wie "Temptation", "Come Live With Me", "Crushed By The Wheels Of Industry" und "Let Me Go". Obwohl die drei Perfektionisten auch weiterhin wunderschöne Pop-Songs produzierten, gingen sie allmählich im Alltag der Charts verschütt. "How Men Are" wurde 1984 dank des Erfolgs von "The Luxury Gap" mit großem Aufwand auf drei 24-Spur-Geräten aufgenommen und wartete mit großorchestralem Klang auf. Die nächsten beiden Werke "Pleasure One" (1986) und "Teddy Bear, Duke & Psycho" (1988) wollte kaum noch jemand hören, danach verlor auch Virgin das Interesse an der Band, die vertraglich immer noch an die Plattenfirma gebunden war, aber auch den gemeinsamen Kick vermissen ließ. Erst 1996, nachdem Martyn Ware durch seine Produzententätigkeit für Terence Trent D'Arby und Erasure wieder die Möglichkeiten der alten analogen Synthis ausloten konnte, kamen Ware, Marsh und Gregory wieder zusammen und spielten ohne großen Produktionsaufwand das Album "Bigger Than America" ein, das nach dem Bankrott des kleinen Labels Eye Of The Storm von WEA vermarktet wurde, aber dennoch keine Käufer finden wollte.

Doch statt zu resignieren, nahmen Heaven 17 ein Projekt in Angriff, das sie schon seit Jahren geplant hatten, aber wegen des Desinteresses von Virgin bislang nicht verwirklichen konnten: Sie nahmen Backing Tracks und Vocals von zwölf klassischen Heaven-17-Tracks auf und verschickten die Bänder an verschiedene Remixer in der Hoffnung, ein Album mit 12 Remixen veröffentlichen zu können. Das Feedback war letztlich aber so gewaltig, daß ein Doppelalbum mit ganz unterschiedlichen Remixen von Adrian Sherwood ("Let's All Make A Bomb"), Giorgio Moroder ("Designing Heaven"), Freddie Fresh ("Geisha Boys & Temple Girls"), Tinman ("Fascist Groove Thang") und anderen herausgekommen ist.

Doch Heaven 17 arbeiten bereits auch an einem wirklich neuen Album, das nächstes Jahr erscheinen soll.