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HEAVEN 17

Auch wenn das musikhistorische Bewußtsein gerade in der Club- und Technoszene nicht besonders stark ausgeprägt ist, gibt es doch einige Bands und Musiker, deren Namen man als Interessierter einfach kennen sollte. Ian Craig-Marsh, Martyn Ware und Glenn Gregory alias Heaven 17 gehören definitiv dazu.

In den Achtzigern hatten Heaven 17 eine stattliche Anzahl von Hits wie "Temptation" oder "(We Don´t Need This) Fascist Groove Thing", vor allem im Vereinigten Königreich war man äußerst erfolgreich und Heaven 17 dürfen rückblickend getrost als Pioniere der Elektronik- und Dance-Szene gewertet werden. In den letzten Jahren wurde es sehr still um die Band, man kümmerte sich um andere Projekte und profilierte sich z.T. als Producer von Popproduktionen von Erasure über Terence Trent D´Arby bis Chaka Khan, Shabba Ranks und Tina Turner. Das letzte Heaven 17-Album hingegen, "Bigger Than America" von 1996, floppte hingegen aufgrund von Labelschwierigkeiten ganz gewaltig. Mit dem Remix-Doppelalbum "Retox/Detox" meldet sich das Trio nun eindrucksvoll zurück. Aus diesem Anlaß sprach ich mit Ian Craig-Marsh in Hamburg über die Geschichte und Zukunft von Heaven 17. 

Glenn und Ian, die sich bereits 1972 in einer Sheffielder Theatergruppe kennenlernten, sowie Martyn Ware bastelten sich Mitte der Siebziger einen ersten eigenen Synthesizer. "Wir waren damals sehr von Tangerine Dream und Kraftwerk, aber auch David Bowie beeinflußt, berichtet Ian. Als man dann noch einen Korg- und einen Roland-Synthesizer kreuzte und Sänger Phil Oakey hinzu nahm nannte man sich Human League und landete 1978 gleich mit der ersten Single "Being Boiled" einen Hit. Diese Pioniertat elektronischer Musik dürfte auch heute noch jedem in den Ohren klingen. 1980 aber trennte sich die Formation nach zwei Alben, obwohl eine aussichtsreiche, große Karriere noch bevorstand. Oakey führte mit Adrian Wright Human League weiter, während Ware und Craig-Marsh die British Electric Foundation (BEF) ins Leben riefen. "Die Idee dahinter war, Künstlern mit ähnlichen Interessen ein Forum zu bieten. Es war Label und Kollektiv zugleich, wobei wir neben Musik auch experimentelle Videoarbeiten veröffentlichten. Natürlich haben wir auch unser eigenes Zeug unter BEF herausgebracht." Und das waren natürlich die ersten Heaven 17-Produktionen, bei denen Glenn nun die Rolle des Sängers übernahm. "Er ist ein sehr guter Frontmann, er hatte bereits in den Siebzigern in einigen Bands gesungen, die mehr in die Punk- und Rockrichtung gingen." Obwohl Frontmann eigentlich das falsche Wort ist, weil es ja gleichzeitig impliziert, daß Heaven 17 auch live gespielt hätten. In den Achtzigern haben sie sich aber strikt jeglichen Live-Aktivitäten verweigert. "Nun, zum einen hatten wir auch wirklich keine Ahnung, wie wir eine Tour hätten aufziehen sollen. Mit Human League haben wir es versucht und sind tierisch auf die Fresse gefallen damit. Wir waren sehr naiv und haben uns ausbeuten lassen, also noch Geld dabei verloren haben. Außerdem entwickelten wir eine richtige Philosophie daraus: In den Achtzigern wurden Elektronikbands wie wir völlig belächelt. Es war für die Leute überhaupt keine richtige Musik, weil es nicht ´handgemacht´ sei. Aus Trotz haben wir uns dann auch den Typischen Rockdingen wie Konzerte völlig verweigert und sahen Heaven 17 als reines Studioprojekt. Da haben die Leute natürlich erst recht gesagt, wir wären ja gar keine Band und richtige Musiker. Das bestärkte uns natürlich in unserer Protesthaltung." Diese äußerte sich auch in ihren Texten, denn Heaven 17 gaben sich entgegen der gängigen Dance-Klischees hochpolitisch. Bezüglich ihrer Abneigung gegen Live-Auftritte hat sich aber mittlerweile einiges geändert. 1997 tourten sie im Vorprogramm von Erasure und hatten plötzlich auf ihre alten Tage doch noch Blut geleckt. Ende 1997 gingen sie auf eine ausverkaufte Headliner-Tour in England, wo sie immer noch die größte Anhängerschaft haben. Auch in Zukunft sind Tour-Aktivitäten geplant.

Die Musik von Heaven 17 änderte sich nach dem Split auch im Vergleich zu der Human League´s. "Wir waren schon immer begeisterte Fans von Funkbands wie Parliament oder Funkadelic, und diese Einflüsse konnte man bei uns heraus hören. Wir gehörten wohl zu den ersten, richtigen Dancefloor-Acts." Die Musik von Human League entwickelte sich hingegen immer mehr in Richtung zartsüßen Synthie-Pops. Das Besondere an der Situation war, daß beide Bands zunächst das selbe Equipment im Wechsel benutzen. So entstanden Anfang der Achtziger zwei der wichtigsten Alben des Electro-Pops auf exakt denselben Synthies und Keyboards: Human League´s "Dare" (mit dem Megahit "Don´t You Want Me") und Heaven 17´s "Penthouse und Pavement". "Die Geräte waren damals noch sehr, sehr teuer, so daß wir uns gar nicht neues Equipment hätten leisten können. Deshalb kam es zu dieser Übereinkunft." Nach den ersten großen Hits der beiden Bands änderte sich natürlich die finanzielle Lage entsprechend. Während Human League´s Stern Ende der Achtziger zu sinken begann konnten Heaven 17 auf sage und schreibe 14 Hitsingles zurückblicken. Stücke wie "Let Me Go", "At The Height Of The Fighting", "We Live So Fast" und natürlich "Temptation" dürften jedem wohlvertraut vorkommen, sind sie doch Dauerbrenner im Radio, auf den Musikkanälen und auch in einigen Clubs. "Temptation" kam 1994 in einer Remixversion sogar nochmals zu Chartehren.

1998 kehren Heaven 17 nun ganz groß zurück. Das Remix-Album "Retox/Detox" wird mit Sicherheit vor allem in der Clublandschaft für Furore sorgen, hat doch die Creme de la Creme der britischen House-, Techno- und Drum´n Bass-Szene Hand an die Hits des Trios angelegt. Dabei handelt es sich im übrigen nicht um eine von der Plattenfirma anberaumte Promo-Aktion, um etwas in Vergessenheit geratene Altstars wieder ins Rampenlicht zu rücken. Vielmehr ging die Initiative von den Remixkünstlern aus, die sich als Fans outeten und unbedingt ihre Lieblingstrax remixen wollten. Den Nachfragen hat man nun also Genüge getan, wobei soviel Material anfiel, daß man damit gleich eine Doppel-CD, eine Single und diverse Promo-12"s damit füllen können. Und einige Remixe warten sogar noch erst auf ihre Veröffentlichung!

Erschienen im Magazin: Elektric

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