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'Adult Bierholen'
SPEX November 1988

Sebastian Zabel braucht (noch) kein Adult-Vorstadt-Groove-Thang

In der Goldhawk Road 45, im Londoner Stadtteil Shephen's Bush befindet sich ein palästinischer Teppichladen und nicht das Tonstudio, in dem ich zum jährlichen Treffen mit Heaven 17 verabredet bin Das finde ich schließlich ein pur Querstraßen weiter, und Glenn Gregory quittiert meine halbstündige Verspätung mit einem milden Lächeln und der Aufforderung, mich zu entspannen. Ich sei ja schließlich kein Journalist der lausigen englischen Musikpresse, die seit Jahren kein gutes Wort mehr für Heaven 17 übrig hat, sondern komme vom Kontinent, wo man die Dinge mit mehr Bedacht betrachte. Was für ein schönes Land, sagen sie, Deutschland (seufz) da schätzt man uns, da erscheinen gute Zeitungen. Ihr seid ja kaum dicker geworden, entgegne ich höflich, und als ich nüchtern nach einer Dose Bier frage, rennt Gregory los und kauft mir ein Six Rock im Laden gegenüber.

Was für freundliche Menschen. Kaum traut man sich, ihnen zu sagen, daß ihm neue Platte seltsam schlapp und relaxed ist, lehnt sich Martyn Ware auf der Couch zurück und läßt ein sanftes Lächeln über sein Gesicht huschen. »Je älter und erfahrener man wird, desto mehr verliert man dieses Feuer - laß es mich so nennen - man ist nicht mehr so enthusiastisch, aber man wird fähiger und gelassener«, sagt er.

"We Don't Need This Fascist Groove Thang" war eine der drei großen Hymnen der New Wave. "Penthouse And Pavement" läutete den Popsommer 81/82 ein, und "The Luxury Gap" war ein ebenbürtiger Nachfolger. »Als wir anfingen, waren wir Teenager und 'Penthouse And Pavement' war neue, aufregende Musik«, sagt Martyn Ware. Doch danach kam nicht mehr viel. Wie viele andere Helden des großen Popsommers gingen Heaven 17 im Alltag der Charts verschütt. Was nach "Pleasure One" kam, waren kaum mehr als geschmäcklerische Singles liebenswürdiger Privatiers. »'Penthouse And Pavement' war ein musikhistorischer Einschnitt. Das läßt sich nicht wiederholen, außerdem wäre es vollkommen lächerlich, wenn wir heute noch Teenage-Pop machen würden. Heute ist es so, als habe man seine Fahrprüfung lange hinter sich. Dann wird das Fahren auf eine andere Art spannend.« Heute ist das spannendste an Heaven-17-Platten, daß man sich immer fragt: Was haben sie sich diesmal wieder Interessantes ausgedacht? Eine Zusammenarbeit mit dem Royal Philharmonic Orchestra vielleicht oder ein Country'n'Western-Album? »'Pleasure One' haben wir mit richtigen Instrumenten eingespielt«, erzählt Glenn Gregory, »'Teddybear, Duke & Psycho'ist völlig synthetisch, ausschließlich Elektronik und Synthesizer. Das ist das, was wir am besten beherrschen.« »Die Platte", sagt Ware, »ist vielleicht nicht sonderlich spektakulär, aber sie ist a thing of beauty, es steckt viel Sorgfalt in jedem Song.« Was ja genau das ist, was wir von Musik erwarten: unspektakuläre Sorgfalt. Musik, die sagt: beruhige dich und trinke ein Täßchen Tee mit mir. Martyn Ware nennt die schlappen Liedchen auf TD&P Balladen, ich nenne es Adult Pop. »Klar, ist du Adult-Pop«, sagt Ware, »wir sind Adults. Ich höre fast nur noch Soul und finde jede LutherVandross-Platte besser als alles, was momentan in den Charts ist, das hat seine Wichtigkeit für mich verloren. Wenn ich die Wahl zwischen irgendwelcher Dance-Musik und klassischer Musik habe, wähle ich letzteres" Gregory schüttelt zaghaft den Kopf: »Ich weiß nicht ... « »Aber ich weiß es", versichert Ware.

Von der Produktionsweise ist Teddybear, Duke And Psycho" die gleiche wie "Penthouse And Pavement", eine Elektronikplatte, nur daß ihre erste LP in wenigen Tagen auf einem kaputten Mehrspurgerät aufgenommen wurde, während die sorgfältigen pieces of beauty der neuen Platte acht Monate lang in einem ansehnlichen Studio gereift sind. Aber immer, wenn ich diese Platte höre, muß ich mich an meiner Kaffeetasse festhalten, damit ich nicht vom Sofa rutsche. Wo leben diese Menschen? In verkehrsberuhigten Einfamilienhäusern ? Gehen sie nie in Discotheken?

»Nein«, sagt Martyn Ware, »da hört man doch nur Acid House, das ist wirklich langweilig. Als Acid House groß rauskam, konnte ich es gar nicht fassen, denn das klingt haargenau wie die Demos zu 'The Luxury Gap'. Aber das liegt weit hinter uns. Ich meine, es wäre kein Problem, das Zeug neu abzumischen und Dance-Maxis rauszubringen, aber so was interessiert mich nicht mehr. Versuche doch nur mal, dir Hip Hop zuhause anzuhören. Es ist unmöglich, das funktioniert nur in Clubs, und genau so funktionierte schon die Musik von Georgio Moroder, also warum nicht ihm zuhören? Hip Hop ist 10 Minuten lang interessant, dann wird es langweilig. Ich denke auch, daß die Ideologie, die dahinter steht, überschätzt wird. Ich würde sogar so weit gehen, zu behaupten, daß sie simplifizierend und repressiv ist. «

Und mit Go Go Brown ist eben nicht Chuck Brown gemeint, wie man mutmaßte, sondern irgendein armer Junkie, denn das in ein richtiger Anti-Drogen-Song, »eine moralische Geschichte«, wie Ian Craig Marsh sagt. Aber was kann man von Menschen erwarten, die nicht auf Konzerte oder in Discotheken gehen und keinen Plattenspieler besitzen.

»Mein Plattenspieler ging vor fünf Jahren kaputt, und alles, was ich seitdem an aktueller Musik gehört habe, waren die Compilation-Tapes, die mir ein Freund von Zeit zu Zeit aufnimmt«, erzählt Glenn Gregory. »Neulich habe ich mir einen CD-Player und eine Handvoll CDs gekauft, und so hörte ich zum ersten mal wieder komplette LPs, von Bands, von denen ich ein oder zwei Stücke kannte und mochte. Aber es ging nicht, nicht eine ganze LP lang. Ich habe beispielsweise lange Zeit gedacht, Prefab Sprout sei eine phantastische Band, weil ich ihre Singles sehr gut fand. Doch über eine LP hindurch ist das Ganze nicht annähernd so clever.«

»Und dann, sagt Martyn Ware, »versuchen wir zu vermeiden, indem wir so variabel wie möglich sind. Es ist fast ein Dogma für uns daß jede unserer LPs von der vorherigen gänzlich verschieden sein soll.«

So spucken sie gegen den Wind. Glenn Gregory sagte irgendwann, Martyn Ware sei heute Barry White. Dessen Leibesfülle hat er tatsächlich, und gut möglich, daß auch "Teddybear, Duke & Psycho" in den Schlafzimmern 40jähriger Vorstadtpärchen Verwendung findet. Aber was geht mich das kundige Bemühen um Erwachsenen-Pop an ?

Sebastian Zabel