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"Restwiderwillen ? Weg Damit !" in SPEX Februar 1987

Nach Jahren der Coolness kommen sie ins Schwitzen. Konzept oder Katharsis oder Katastrophe?
Was wurde eigentlich aus den Designern des Lagerfeld-Zopf-Sozialismus?
Einer weiß es : Diedrich Diederichsen.

Foto: Peter BoettcherHEAVEN 17 SIND DIE klassischen Opfer der von ihnen und ihrer Generation angezettelten Umwertung der Werte: Warum sollen Sozialisten dreckig und verschwitzt sein, warum sollen sozialistische Pop-Musiker die doch erwiesenermaßen reaktionäre Illusion vom unteilbar-authentisch-einzigartigen Künstler aufrechterhalten? So entstand die Idee von der sozialistischen Künstlergruppe als smartes Kollektiv von als aufstrebende Angestellte und junge mittelständische Unternehmer getarnten Guerilleros, die im Disco-Synthi-Pop schwammen wie Che Guevara im bolivianischen Volk und die Piranhas im Amazonas und darüber hinaus offen zugaben, daß der Künstler heute eher wie eine Mischung aus Werbemann und Ingenieur funktioniert als wie das sich ewig verweigernde Individuum. So. Dann kam aber alles ganz anders: die Idee von Heaven 17 wurde zwar aufgenommen, lag eh in der Luft und wurde von anderen geteilt, nur auf lange Sicht wurden das unbequeme "sozialistisch" sowie "getarnt" aus der Konzeption entfernt und es entstand jener Typus, den wir heute als Yuppie kennen, und erklärte das marxistische Kollektiv zu seiner Hausband : Penthouse And Pavement - paßte doch prima. Aus einer progressiven war über Nacht eine reaktionäre Ästhetik geworden.

So ist die Ästhetik, launenhaft wie ein Weib, vor allem in der Pop-Musik. Martyn Ware heute: "Wir hatten dieses Image nie so bewußt einsetzen wollen, das entwickelte sich eher so, weil uns nicht anderes einfiel und weil die Journalisten darauf ansprangen. Anfangs war uns das auch sehr recht«

Das andere Problem: Heaven 17 berichteten immer über die Freuden der Jugend und die damit verbundene Mobilität und das (natürlich subversive) nicht festgelegte Leben (Geschwindigkeit). Dabei kann man so was natürlich immer nur sagen, wenn dieser Zustand de Jugend und Mobilität gerade vorüber ist. Tatsächlich verstreicht ja auch immer etwas Zeit zwischen Veröffentlichung und Erfindung eines Songs/lmages. Trotzdem war es auf den ersten zwei LPs schwungvoll und ermutigend, dieses Bekenntnis zum permanent revolutionären Leben, während sich in Wirklichkeit gerade alle Bandmitglieder verheirateten, Eigentumswohnungen erwarben und ihr Leben längerfristig festlegten. Bei der driften LP war das Mißverhältnis zwischen Bauchumfang und proklamierter Beweglichkeit schon etwas seltsam: "Ja, das stimmt wohl, unsere neue LP ist in diesem Sinne erwachsener«

Wie macht man eine erwachsene Pläne? Indem man auf Melodiosität, Tempo, Euphorie drückt?

"Nein, ich finde die Platte ist sehr schnell, wir finden sie eigentlich auch schneller als frühere Platten, und was die Melodien betrifft, so sind sie nur anders.«

Kann man sagen, daß ihr früher Motown-Platten gemacht habt und heute Stax-Platten macht?

»Genau. So ist es. Was im übrigen viel mit meiner Arbeit mit Tina Turner zu tun hatte, Motown ist ja schwarze Musik für Weiße und insofern leichter zugänglich, gerade für junge Weiße, die Reize von Stax- und Atlantic-Platten erschließen sich erst später."

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So ist die
Ästhetik,
launenhaft
wie ein
Weib.

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Das dritte Problem ist, daß mir auf ,Pleasure One' nur genau ein Stück gefällt, nämlich "Trouble" das wirklich klingt wie gereifte Heaven 17, der Rest ist für mich nicht Stax noch Atlantic, sondern britisch verfeinerte Chicago-Singles, bestenfalls entjazzte Steely Dan, aber das konnte ich ja nicht wissen, als mir Martyn Ware und Glenn Gregory völlig übermüdet im kleinen gläsernen Stall im Virgin-Office gegenüberstanden und von der unglaublichen Motown-Geschichte according to Jimmy Ruffin erzählen.

»Ich habe ihn immer versucht zu überreden, ein Buch zu schreiben, denn was er dir über die Motown-Geschichte erzählt geht über alle bekannten Enthüllungstheorien hinaus. Es war toll, diese Single mit ihm aufzunehmen, und sie hätte wirklich ein Hit werden sollen, aber andererseits ist er ein sehr schwieriger Typ. Stell dir vor er lebt seit 20 Jahren von der Legende "What Becomes Of The Brokenhearted ?"«

Heaven 17 haben jetzt, wo all poptheoretischen Aspekte ihres ursprünglichen Images eh nichts mehr besagen, einen Haufen Grundsätze über Bord geworfen, den ganzen Anti-Rockism-Ballast (obwohl sie ihn in der Sache immer noch für richtig halten): Sie haben größte Teile der neuen LP von echten, lebenden Musikern einspielen lassen, sie sind in "The Tube" erstmals ohne Playback live aufgetreten und planen trotz eines gewissen Restwiderwillens nach gutem Gelingen dies zu wiederholen (Londoner Freunde sagen, es sei grauenhaft gewesen), und die BEF Partnerschaft ist auch aufgeweicht. Glenn Gregory auf Martyrn Ware deutend »Der steckt alles in die eigene Tasche.« Gemeint sind die Einnahmen aus Wares begehrter Produzententätigkeit für notorische Weltstars in den besten Jahren.

Nur eins, nur eins, das bleibt bestehen Die Labour Party wird siegen. Will sagen: Die drei stellen alle erdenklichen Fähigkeiten in den Dienst der Partei. Wenn es darauf ankommt. Für Red Wedge soll eine Pro-Labour-Single erscheinen.

Brav, brav, doch wissen wir doch, daß regierende Sozialdemokraten in der Regel nicht halten, was sie an Radikalismen wahrend langer Oppositionsjahre versprechen. Würde ein Kinnock tatsächlich US-Waffen von der Insel vertreiben können ?

»Wenn er es wagen sollte, sein Versprechen nicht zu halten, wird es zu den wüstesten Streiks kommen«

Ich vergaß: in England gibt es ja Gewerkschaften...

So will ich denn diesen drei sauberen, freundlichen und verspielten von Jungunternehmern mit subversivem Augenzwinkern zu aufrechten Junggewerkschaftern gereiften Alt-Soulern das Vertrauen nicht aufkündigen, auch wenn sie gerade eine etwas müde Periode durchlaufen, Neue Platten sind schon haufenweise fertig und bald wird sich auch wieder jemand finden, der sie kauft. Bis dahin versuchen die drei auch die weniger aufregenden Momente des Lebens künstlich in echte Erfahrungen zu verwandeln. So erlebten sie die WM in Mexiko im Sommer bei angedrohter Heizung, in Mänteln und Schal und bei geschlossenen Fenstern, um so die Glut von Monterrey am eigenen Leib zu spüren. Designer Solidarität, im netten Sinne.