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HEAVEN 17 - Elektro-Pop von Stefan Svoboda (Musikexpress Sounds August 1983)

Als sie sich von Human League trennten, gab man ihnen kaum eine Chance. Denn das Trio aus Sheffield machte nicht nur avantgardistische Tanzmusik, sondern auch politische Songs. Mit Hilfe ihrer Produktionsfirma B.E.F. aber gelang ihnen der Eiertanz zwischen Kunst und Kommerz.

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'Ich bin ein glücklicher Mensch. Nein wirklich, warum sollten mich solche kleine Mißerfolge beunruhigen? Wir haben keine Verluste gemacht, wir haben alle Freiheiten bei unserer Plattenfirma, warum also aufregen?'

Martyn Ware redet von der Pleite des Konzeptalbums MUSIC OF QUALITY AND DISTINCTION, Das B.E.F.-Team, die beiden Ex-Human-League Musiker Martyn Ware und Ian Craig Marsh sowie Sänger Glenn Gregory hatten nach dem Kritikererfolg ihrer Debüt-LP PENTHOUSE AND PAVEMENT einen Versuch gewagt, der rundum fehlschlug, Von Gary Glitter bis Tina Turner hatten sie bekannte Sänger angeheuert, die ihre Lieblingssongs in neuen Arrangements wiederbeleben sollten. Tina Turner sang 'Ball Of Confusion' von den Temptations, Bernie Nolan 'You Keep Me Hangin' On', Billy MacKenzie von den Associates sang Bowies 'Secret Life Of Arabia'.

Als die Platte schließlich erschien, wurde sie von der Kritik nahezu einhellig verrissen, das Publikum verstand sie auch nicht, die immens hohen Produktionskosten schienen in den Sand gesetzt. 'Wir waren völlig deprimiert, zuerst wollten wir ganz neu anfangen, unsere Firma B.E.F. auflösen, Heaven 17 auflösen und was ganz anderes machen, Aber dann wurde uns klar, was für eine tolle Organisation B.E.F. für uns ist, was für Möglichkeiten sie uns eröffnet'.

B.E.F. (British Electric Foundation) ist einiges: Songwriterteam, Produzententeam, Produktionsgesellschaft. Die Euphorie anläßlich des Entschlusses PopMusik von einer Firma herstellen zu lassen, nicht von einer Band wie tausendmal vorher, kann man im Video zum Song 'Penthouse And Pavement' von der gleichnamigen Heaven-17-LP nachvollziehen: Die Drei zelebrieren das Leben der hohen Executives, zwischen Chefetage und hübschen Mädchen, nicht ohne die entsprechende Ironie freilich, mit der die drei eingeschriebenen Mitglieder der Labour-Party diesem Thema gegenüberstehen.

Das Video zur nächsten Heaven-17-Single 'Let Me Go' reflektierte dagegen den finanziellen Reinfall des B.E.F.-Albums: B.E.F.-Bankrott?' fragt eine herumflatternde Zeitung, während Glenn Gregory den Mantelkragen höherschlägt und wie ein Gejagter durch die Kulissen läuft.

Martyn ist mit dieser Interpretation nicht ganz einverstanden: 'Unabhängig von unserem Schicksal war von.Anfang an geplant, daß unsere Videos in einer Serie den Aufstieg und Niedergang dieser Firma B.E.F. zeigen, die nichts mit der wirklichen B.E.F. zu tun hat. Weder haben wir Büros in Wolkenkratzern noch sind wir jetzt pleite,' Martyn konnte zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen, und wagte auch kaum zu hoffen, daß nur ein paar Wochen nach diesem Gespräch die damals frisch erschienene Single' Temptation' als auch die LP THE LUXURY GAP hohe Plazierungen in den europäischen Hitlisten erreichen wurden, Eigentlich hatte er sich schon damit abgefunden, daß ihre Produkte von Kritikern euphorisch geliebt, aber kommerziell auf keinen grünen Zweig kommen wurden.

Sozialist und Systemkritiker Ware hat sich einen neuen Heimcomputer zugelegt, einer der wenigen auffälligen Gegenstände seiner spartanisch eingerichteten Wohnung. Während er ein 'Painting'-Programm ausprobiert, erklärt er den politischen Anspruch seiner Musik: 'Wir sind ja nicht blöd und sagen den Leuten, was sie tun sollen. Wir singen auch nicht, Karl Marx is lovely: obwohl das vielleicht mal eine gute Idee wäre. Wir beschreiben nur die Welt, wie sie ist. Wir wollen gute Pop-Musik machen, das bedeutet aber nicht, daß wir dumme Pop-Musik- Texte schreiben müssen.'

Zwei Dinge fallen an THE LUXURY GAP auf. Zum einen die Verlagerung der politischen Themen von der Außen- zur Innenpolitik. Ging es bei PENTHOUSE AND PAVEMENT vorwiegend um Reagan, die Bombe, Nachrüstung und den Kampf dagegen, so steht bei THE LUXURY GAP der Alltag ('Crushed By The Wheels Of Industry') der Arbeiter- bzw. Arbeitslosen-Klasse im Mittelpunkt. Das Cover erläutert den Graben ('Gap') zwischen den luxuriösen Offerten der Konsumindustrie und der Realität einer kapitalistischen Krisenökonomie.

Zum anderen handeln mindestens drei Songs (auch das typisch für ihre vielen Talente und die Fähigkeit, Abwechslung zu schaffen) von Liebesgeschichten: einmal ist es ein 37jähriger, der eine 17jährige mit rührendem Pathos bittet: 'Kiss the boys goodbye, Come live with me!' Zweimal geht es um Absetzbewegungen, darum daß einer gehen will - und man ihn lassen soll ('Let Me Go!', 'We Live So Fast').

In der Wirklichkeit sah es bei Heaven 17 unlängst ganz anders aus: "Glenn hat gerade geheiratet, die Sängerin von Allez Allez, eine belgische Gruppe, die wir produziert haben. Ich habe das eingefädelt. Ian und ich haben neue Freundinnen, Wir leben gerade das Gegenteil von dem, was wir singen - und 37 ist auch keiner von uns."

Die Allez Allez-Platte war nur eines von vielen Projekten, an denen das Produzenten-Gespann Ware/Marsh in letzter Zeit gearbeitet hat. So bereitet man eine B.E.F.-Dub-Platte vor, die Heaven-17-Tracks in unkenntlichen Instrumentalversionen featuren wird. Mit den beiden Lieblings-Gastmusikern von B.E.F., John Wilson (Baß) und Nick Plytas (Piano), werden jeweils Solo-Instrumental-LPs aufgenommen.

Bevor Martyn sich weiter um seine Arbeit kümmert - man sitzt nämlich gerade an einem Soundtrack für einen TV-Film - zeigt er seine Spiele, ausgesuchte Zeugnisse von schwarzem Humor: 'Nuclear War', 'Holocaust' und ähnlich heißen die kleinen Kartenspielchen mit Ereigniskarten wie '2 Millionen People Dead'. 'Das Beste ist, daß, egal wie man spielt, am Ende immer die ganze Welt vernichtet wird. Hahaha!'