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Christian Graf: Rockmusik Lexikon Europa. Band 1 & 2. Taurus Press 1986

Heaven 17

Glenn Gregory (voc), Ian Marsh-Craig (syn, key, voc), Martyn Ware (syn, voc)

Auf der Suche nach aussagekräftiger Tanzmusik,, (TROUSER PRESS) etablierten die ehemaligen Computer-Programmierer Ian Marsh und Martyn Ware im März 1981 in Sheffield ihr Unternehmen British Electric Foundation (B.E.F.). Diese Gesellschaft faßte Video- und Platten-Produktionen, Musikverlag und nicht zuletzt die Band -Heaven 17 zusammen. Marsh und Gregory, jahrelang eine Hälfte von Human League wollten keine konventionelle Rockband, sondern eine Art Interessengemeinschaft, die unterschiedliche Ziele der Beteiligten auf einen Nenner bringt. Als Leadsänger engagierten sie Glenn Gregory, der schon seinerzeit bei Human League im Gespräch war.

Was nun folgte war ein "Eiertanz zwischen Kunst und Kommerz" (MUSIK EXPRESS). Mit dem Äußeren schnieker Jung-Dynamiker, noblen Klamotten und wohlfeilen Frisuren kombinierten Heaven 17 schwarzen Soul, poppige Elektronik und politische Inhalte zu einem weißen Elektro-Funk. Die Auftaktsingle ‚We Don't Need This Fascist Groove Thang' war ohne Zweifel das tapferste Statement das in diesem Jahr auf Vinyl gepreßt wurde (MELODY MAKER), erreichte auch die Top 30, traf jedoch auf ein eher verwirrtes Publikum. Der mobile Industrie-Funk auf Synthie- und Computer-Basis mochte ja noch in die Diskotheken passen, das -Flirten mit Funk und großer Politik (SOUNDS) stieß dort jedoch auf taube Ohren ,

Nachdem ‚Play To Win' wieder nur ein mittlerer Hit wurde, machte das Album -Penthouse And Pavement den Zwiespalt zwischen Anspruch und Bestseller-Mentalität noch deutlicher. Die LP war ein ‚satirischer Kommentar auf den Wunsch der Bourgeoisie, nach den Quellen der Arbeiterklasse zu streben' (NEW MUSICAL EXPRESS). Sie handelte von Faschismus, Militarismus, Reagan, der Bombe und in drei eher balladesken Fällen - vom zeitlosen Thema Zweierbeziehung. Heaven 17 bereisten anschließend europäische Diskotheken und sangen zu vorproduzierten Bändern, ‚da andernfalls die Leute enttäuscht wären, (Martyn Ware). Zwar waren sie damit sehr beweglich, verursachten geringe Kosten und konnten so für niedrige Eintrittspreise auftreten, aber die kühle Synthetik des Sounds und der sterile Vortrag stellten allenfalls ‚liebevolles, fortschrittliches, tanzbares Entertainment' (NEW MUSICAL EXPRESS) dar. Die durchaus reizvolle, permanente Wechselbeziehung zwischen Technik und Musik kam erst durch modernste Studio-Technologien zum Ausdruck.

Danach widmete sich das Heaven 17-Triumvirat anderen Projekten. Unter dem Titel ,Musik For Stowaways~, war bereits eine Kassette mit elektronischer Instrumentalmusik erschienen. Als nächstes folgte eine wenig geglückte Platte mit der Showgruppe ‚Hot Gossip' die auf "Geisha Boys And Temple" Songs von Human League und Heaven 17 interpretierten. Wenig erfolgreich gestaltete sich auch die Veröffentlichung des Albums -Music For Quality And Distinction. Marsh/Ware baten diesmal bekannte Kollegen wie Tina Turner, Gary Glitter und John Foxx ins Studio, um ihre Lieblings-Oldies (‚These Boots Are Made For Walkin'', ‚Suspicious Minds' etc.) im Techno-Pop-Stil aufzunehmen. Und schließlich konnte auch Martyn Ware in seiner Eigenschaft als Produzent mit der belgischen Band ‚Allez Allez' seiner Firma B.E.F. keinen Bestseller ermöglichen.

Europaweite Resonanz stellte sich im Winter 1982 mit der LP ‚The Luxury Gap' und ein halbes Jahr darauf mit der Single ‚Temptation' ein. Diesmal befaßte sich der ‚intelligente Funk-Soul-TanzBeat' (MUSIK EXPRESS) mit der britischen Innenpolitik. Die Arbeiterklasse und die Liebe lieferten den Stoff für einen ‚sauberen, lebendigen und durchaus aufrichtigen Sound' (TROUSER PESS). Die Singles ‚Let Me Go' und ‚Come Live With Me' rundeten den Erfolg von ‚Luxury Gap' ab.

Zu den Arbeiten für ‚How Men Are' holte sich das Trio die Sängerinnen von ‚Afrodiziak' und die Bläser der ‚Phenix Horns' ins Studio. Das Ergebnis war eine orchestrierte Funk-Produktion, die ‚die Welt beschreibt, so wie sie ist' (Martyn Ware).

PENTHOUSE AND PAVEMENT (1981) Virgin 204 017

THE LUXURY GAP (1982) Virgin 5 337

HOW MEN ARE (1984) Virgin 206 614


Human League

Ian Burden (b,key,g), Jo Callis (g,key,voc), Joanne Catherall (voc), Philip Oakey (voc,syn), Susanne Sulley (voc), Philip Wright (key)

Im Juni 1977 taten sich in Sheffield die Programmierer Ian Marsh und Martyn Ware mit dem jungen Sänger Philip Oakey zusammen, um als ‚Future' ohne konventionelle Instrumente zukunftsweisende Klang-Codes zu schaffen. Ein halbes Jahr später engagierte , das Trio den Kunststudenten Philip Adrian Wright und nannte sich fortan ‚Human League'. Wrights Aufgabe beschränkte sich zunächst auf die visuelle Umsetzung der metallischen Sounds. Er kommentierte die kalte, synthetisch hergestellte Show mit Dia- und Film-Projektionen. Marsh und Ware bedienten etwas amateurhaft Synthies und Rhythmus-Apparate, während Oakey einen warmen, melancholischen Gesang anstimmte.

Paul Bower von ,The Group' stellte für ‚Human League' den Kontakt zu Bob Last her, der in Edinburgh das Label Fast Product betrieb. ‚Being Boiled' sorgte für durchschnittliche Plazierungen in den Alternativ-Charts, brachte die Gruppe aber immerhin nach London. ‚Siouxsie & The Banshees' ließen sie im Vorprogramm einer England-Tournee spielen. Die multimediale Synthese aus Techno-Sound, Film und alptraumhaften Texten stieß allerdings auf wenig Gegenliebe beim Publikum.

Nachdem ‚Being Boiled' noch mehr oder weniger im Wohnzimmer aufgenommen wurde, konnten sich Human League für die Maxisingle ‚The Dignity Of Labour' schon ein bescheidenes 8-Spur-Studio leisten. Obgleich die Platte kaum für Wirbel sorgte, langte es doch immerhin zum erhofften Plattenvertrag. Virgin griff zu, wahrend Bob Last nun das Management übernahm. Die LP's ‚Reproduction' und ‚Travelogue' verschafften der Band durch ‚ihre unzeitgemäße dilettantisch und synthetisch hergestellte Trivialmusik allerlei Sympathien' (SÜDDEUTSCHE ZEITUNG).

Human League erlebten eine experimentelle Phase und suchten mittels ‚hochtechnischem Primitivismus' einen ‚logischen Weg für alle Rock-Traditionen' (TROUSER PRESS). Die Technik triumphierte über herkömmliche Instrumentierungen und lediglich unter dem Pseudonym ‚The Men' riskierte die ‚Liga' mit ‚I Don't Depend On You' einen Anlaut mit natürlichen Musik-Geräten.

1978 tourte die Band erstmals mit Iggy Pop durch Europa. Nach dem Erscheinen ihrer ersten LP avancierte sie zum Headliner und galt als ‚die gitarrenlose Zukunft des Rock'n'Roll' (NEW MUSICAL EXPRESS). ‚Travelogue' konterkarierte ‚Kitsch-Kultur und Science Fiction' (TROUSER PRESS) und erreichte immerhin die Top 20. Das Album zelebrierte den Widerspruch zwischen Mensch und Maschine in sanft-süßen und gleichzeitig schrillen, unorthodoxen Melodien. Die roboterhaften Klänge aus Sequenzern und Synthesizern erinnerten an Fabrikationsstraßen in der Großindustrie. ‚Ohne ernstlich ins obskure abzugleiten' (MELODY MAKER) nahm die Platte ‚eine nihilistische Idee auf, die sie über die Grenzen reiner Grabesstimmung hinausführte' (RECORD MIRROR).

1980, kurz vor einer ausgedehnten Konzertreise durch Europa, kam es zur bandinternen Krise der aufstrebenden Human League. Zwei Wochen vor Tourneebeginn verabschiedeten sich Marsh und Ware mit Ziel Heaven 17. lhrer progressiven Kräfte beraubt, schien das Ende von ‚Human League' nur eine Frage der Zeit zu sein. Doch wider Erwarten reagierten Oakey und Wright sehr schnell. Sie holten die beiden Tänzerinnen/Sängerinnen Joanne Catherall und Susanne Sulley und verhandelten erfolgreich, durch Vermittlung von Bob Last, mit Ian C. Burden, sowie Ex-Rezillos~, und Es-Shake Jo Callis. ‚Human League' konnten nun nicht nur ihren Konzertverpflichtungen nachkommen, sondern gewannen dadurch außerdem zwei potente Songschreiber.

Damit war der Grundstein für eine neue, überaus erfolgreiche Phase gelegt. Die Single ‚Boys And Girls' stellte einen eher bescheidenen Neuanfang dar. Doch schon ‚The Sound Of The Crowd' und der Top 1O-Bestseller ‚Love Action' verdeutlichten das neue, kommerzielle Gesicht der Band. Elektronische Ohrwürmer wurden fortan in Serie hergestellt. ‚Durchdringender, durchschlagender Elektro-Pop' (MUSIK EXPRESS), der gängige Tanz-Methodik und stählernen Synthie-Beat harmonisierte. Dieser expressive, zeitgemäße Glamour-Pop wurde selbstverständlich durch ein perfektes Styling richtig verkauft. ‚Die Weltmeister des Synthesizer-Pop' (ROLLING STONE) erwiesen sich damit als zuverlässige Hit-Produzenten.

Martin Rushent führte bei der LP ‚Dare' Regie. Die Platte enthielt mit ‚Don't You Want Me' den ersten weltweiten Hit für Human League. In dessen Fahrwasser tauchte plötzlich auch die Uralt-Single ‚Being Boiled' in den Charts auf. ‚Mirror Man' schließlich rundete Ende 1982 den Gipfelsturm des Sextetts ab. Präzis konstruierte Songs in klar definierten Strukturen, stark Pop-orientiert, hatten Human League in knapp zwei Jahren zu ‚einer der führenden futuristischen Elektro-Pop-Bands' (NEW MUSICAL EXPRESS) gemacht.

Mit weitgehend vorproduzierten Musikteilen zogen sie durch die Lande und spulten vor durchweg vollen Häusern eine streng kalkulierte Show aus Licht, Projektionen und Techno-Rock ab. Ihre Fans reagierten begeistert, wahrend manche Kritiker dahinter nur noch ‚oberflächliche Tanzmusik für Abba-Fortgeschrittene' (SÜDDEUTSCHE ZEITUNG) vermuteten.

1983 blieb ein ruhiges Jahr für Human League. Allein die Single ‚Fascination' sorgte für konstante Hitparaden-Präsenz. Gitarren bestimmten erstaunlicherweise das Klangbild von ‚Hysteria' entscheidend mit. Die Medien unterstellten jedem der Songs Hit-Kompetenz und würdigten den ‚puren Pop und die konstante Magie' (MELODY MAKER) der LP, an der die Gruppe zweieinhalb Jahre gefeilt hatte.

REPRODUCTION (1979) Virgin 201019

TRAVELOGUE (1980) Virgin 202 332

DARE (1981) Virgin 204104

HYSTERIA (1984) Virgin 206 307

Philip Oakey und Giorgio Moroder: PHILIP OAKEY & GIORGIO MORODER (1985) Virgin 207 216