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HEAVEN 17 - SHEFFIELD STYLE
Kurt Gerland in BEAT 11/2008

IM OKTOBER 1980…

…verließen die beiden gelernten Computerprogrammierer Martyn Ware und Ian Craig Marsh das äußerst erfolgreiche und von ihnen mitbegründete Sheffielder Elektropop-Projekt "The Human League". Zwar hatten die Beiden mit "Being Boiled" an einem der Klassiker der Elektro-Dance-Szene mitgewirkt, aber die damit verbundene Präsenz in der Öffentlichekit ging ihnen auf die Nerven. Das Duo zog sich in ein Studio im Londoner Eastend zurück und begann unter Einbeziehung des Sängers Glenn Gregory verstärkt mit den Möglichkeiten synthetischer Instrumente zu experimentieren. Das Trio gründete die "British Electric Foundation", die in erster Line zur Plattform von "Heaven 17" wurde. Der Name bezieht sich übrigens auf den Roman "A Clockwork Orange" von Anthony Burgess, in dem es eine fiktive Popband gleichen Namens gibt.

1981 veröffentlichten Heaven 17 mit "Penthouse And Pavement" ihr Debütalbum - ein wegweisendes Werk, auf dem sie sozialkritische Statements mit einer Mischung aus elektronischen Klängen, Sounds der Sechzigerjahre und Inspirationen aus Soul, Disco, Pop und Rock mischten. Dieses Konzept führten sie auf ihrem zweiten Album "The Luxury Gap" erfolgreich weiter. Mit dem Song "Temptation" landete man 1983 sogar einen Top-Ten-Hit in Großbritannien.

Bei späteren Produktionen orientierten sich Heaven 17 dann stärker an herkömmlichen Instrumenten. Den Kritikern gefiel das, dem Publikum weniger. In den Neunzigerjahren wurde es zunehmend still um die Band. Man veröffentlichte zwar einige Alben und gab bisweilen Konzerte, aber von großem Erfolg waren diese Bemühungen nicht mehr geprägt.

1999 entstand das Album "Live At Last". Der damals nur limitiert auf den Markt gekommene Konzertmitschnitt ist 2008 erneut veröffentlicht worden. Für das kommende Jahr ist eine gemeinsame Europatournee mit "ABC" und "The Human League" geplant. Zur Tournee soll es ein Album mit Remixen älterer Stücke und einigen Coverversionen geben.

Wie richtungweisend für die elektronische Musik die britische Band "Heaven 17" war und ist, eröffnet sich einmal mehr mit dem Konzertalbum "Live At Last", das unlängst wieder auf den Markt gelangte. Kurt Gerland sprach mit Sänger Glenn Gregory über alte und neue Zeiten des Kult-Trios.

"Wir spielten das gleiche Spiel wie die Manager der großen Plattenfirmen. Wir wollten den Leuten zeigen, dass die Rockmusik und die damit verbundene Jugendrevolte nichts Anderes als ein großes Geschäft mit dem einzigen Ziel war, möglichst viel Geld zu verdienen."

Glenn Gregory ist gerade erst mit dem Remixen alter "Heaven1 7 " Tracks beschäftigt, als ich ihn in seinem Gartenstudio in Sheffield anrufe. Über die alten Zeiten des Trios spricht er mit einem Enthusiasmus, als wäre das Ganze erst vor einer Woche passiert. Dabei reden wir über Dinge, die mehr als 25 Jahre zurückliegen. Mit Martyn Ware hat er noch heute Kontakt, und unter dem alten Namen Heaven 17 hat man in den letzten Jahren sogar sporadisch Konzerte in England gegeben - ein Unternehmen, dass man 2009 gern auf dem europäischen Festland wiederholen würde. Martyn arbeitet darüber hinaus mit Vince Clarke ("Erasure" & "Yazoo") erfolgreich an verschiedenen Projekten, die sich mit Raumklängen und 3D-Installationen beschäftigen. Glenn selbst hat vor Kurzem das zweite Album seiner Band "Honeyroot" fertig gestellt - ein Projekt, dass er gemeinsam mit Keith Lowndes von "ABC" ins Leben gerufen hat. Nur Ian Craig Marsh, der schon immer eher stille und introvertierte dritte Mann von Heaven 17, hat sich - wie Glenn Gregory es Ausdrückt - auf die "sicheren Bretter" zurückgezogen und hat heute einen Job, der mit Musik gar nichts mehr zu tun hat, an einer Universität angetreten.

Beat: Glenn, mit "Live At last" habt ihr jetzt einen Konzertmitschnitt aus dem Jahre 1999 veröffentlicht. Das Album enthält neben bisher unveröffentlichen Stücken nur Material aus eurer frühen, durch elektronische Einflüsse inspirierten Phase. "Live At Last" ist vor fast zehn Jahren schon einmal in einer limitierten Auflage von 1000 Exemplaren erschienen. Warum gerade jetzt eine offizielle Veröffentlichung ?

Glenn: Wir waren Ende des letzten Jahres zusammen mit "The Human League" und "ABC" auf Englandtour. Das Ganze war so eine Art "Paket" mit drei Bands aus Sheffield. Wir sind dabei zum ersten Mal zusammen aufgetreten. Martyn und ich fanden, dass dies doch ein guter Anlass wäre, um dieses Livematerial einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Dass wir uns dabei in erster Linie auf die alten elektronischen Tracks bezogen haben, liegt daran, dass wir einfach der Meinung sind, dass dies unsere innovativste Zeit war.

Beat: Kannst du dich heute noch daran erinnern, wie ihr damals überhaupt auf die Idee gekommen seid, die Elektronik derart zum Mittelpunkt eurer Musik zu machen?

Glenn: Unsere Wurzeln sind auf die Punk-Bewegung zurückzuführen. Die lieferte einfach den Beweis dafür, dass jeder mit Erfolg Musik machen kann - selbst wenn man kein Instrument wirklich beherrscht. Wir waren Autodidakten und hatten kein Interesse daran, den Rock im Punk-Stil neu zu beleben. Wir wollten von beginn an elektronische Musik machen, das lag uns einfach im Blut. Sheffield ist in dieser Hinsicht ein merkwürdiger Ort der Inspiration. Es ist nun einmal eine Stadt, in der du von morgens bis abends Industriegeräusche hörst. Und diese monotone Rhythmik wird unweigerlich auch zum Bestandteil deiner Musik. Und darüber hinaus waren wir alle schon immer Fans von elektronischer Musik, von Kraftwerk, Karl-Heinz Stockhausen, Giorgio Moroder, Curved Air oder auch Tangerine Dream. Wir hörten einfach alles.

Beat: Ihr selbst habt ja mit Heaven 17 in den frühen Achtzigerjahren angefangen - einer Zeit, in der England in der Popmusik unheimlich viel passierte…

Glenn: Das war wirklich unglaublich interessant. Sogar in der elektronischen Musik gab es da die unterschiedlichsten Ansätze. Und wir standen mit Heaven 17 mittendrin in dieser Vielfalt der Klänge. So wirklich ist uns die Tragweite dieser Situation damals gar nicht bewusst gewesen. Was wir machten, erschien uns als ganz natürliche Sache und nicht als Innovation für eine ganze Musikerszene. Man denkt in so einem Augenblick nicht viel darüber nach, und erst Jahre später habe ich das alles mit anderen Augen gesehen.

Sozialkritik in Maßanzügen

Beat: Das war ja damals auch die zeit, in der Musik und Image unzertrennlich wurden. Ihr hattet zum Teil sehr sozialkritische Texte, aber auf Fotos und Plattencovern sah man euch als Manager mit Maßanzügen und Aktenkoffern. Ihr habt euch also quasi im gleichen Outfit präsentiert wie die, die ihr in euren Texten attackiert habt.

Glenn: Dahinter steckte natürlich schon ein bewusste Provokation, es war einfach der Versuch, nach der Punk-Bewegung als etwas Neues anerkannt zu werden. Nach oben toupierte Haare, zerrissene T-Shirts und speckige Lederjacken, das hatte es alles gegeben - und Anfang der Achtzigerjahre wirkte dieses Außenseiterimage ziemlich antiquiert. Also machten wir das Gegenteil und präsentierten und als smarte Geschäftsleute. Wir spielten das gleiche Spiel wie die Manager der großen Plattenfirmen. Wir wollten den Leuten zeigen, dass die Rockmusik und die damit verbundene Jugendrevolte nichts Anderes als ein großes Geschäft mit dem einzigen Ziel war, möglichst viel Geld zu verdienen.

Beat: Ich habe vor Kurzem ein Gespräch mit einigen jungen englischen Musikern geführt, und die sagten, dass Künstler heute auf der Insel nur noch dann sozialkritische Statements abgeben, wenn sie dadurch in die Medien kommen oder kommerziellen Erfolg erwarten können. Wie war das damals bei euch?

Glenn: Da hat sich doch eigentlich nicht viel getan. Ein Stück wie "(We Don't Need This) Fascist Groove Thing" hätten wir auch vor zwei Wochen schreiben können, weil sein Text immer noch relevant ist. Amerika, das Weltgeschehen, da hat sich nichts verändert. Für meine Begriffe setzen einige Künstler ihre sozialen Botschaften heute aber zu feindorientiert ein. Mit zu harten Worten verwirrst du die Leute. Wir haben unsere Statements immer eher unterschwellig einfließen lassen, um dann zu sehen, wie die Leute darauf reagieren. Und dabei haben wir uns genauso an politischen Nachrichten aus der Tagespresse orientiert, wie an Neuigkeiten aus der Popwelt. Diese Mischung aus Politik und Pop war genau das, was wir wollten.

Synths, Software & Anspruch

Beat: Wenn man Artikel über Heaven 17 liest, werden Martyn und Ian immer als die innovativen Elektroniktüftler bezeichnet. Hattest du als Sänger eigentlich auch Interesse an der elektronischen Seite eurer Musik?

Glenn: Auf jeden Fall. Ich habe zu Hause in meinem kleinen Studio zwar die Möglichkeit, altmodische synthetische Klänge zu produzieren, aber ich bin auch in Bezug auf moderne Elektronik auf dem neuesten stand. Ich besitze altmodische Synthesizer, aber auch alles, was an neuer Software für Computermusik auf dem Markt ist. Ich habe mich schon immer für diese Dinge interessiert.

Beat: Viele junge Musiker bemühen sich ja heute nahezu krampfhaft, den typischen Computerklang von Bands wie Heaven 17 oder The Human League hinzubekommen…

Glenn: Im Moment interessieren mich die musikalischen Möglichkeiten, di die neue elektronische Musikentwicklung bietet, viel mehr. Heaven 17 waren immer der Inbegriff für eine Weiterentwicklung der Beziehung zwischen Musik und Elektronik. Wahrscheinlich treibt mich dieses Denken auch heute noch voran. Aus diesem Grund höre ich mir neue Musik an und lasse mich von den modernen Aufnahmetechniken inspirieren. Heute klingt ja sogar das, was man früher als "reale Musik" nannte, synthetisch. Die Möglichkeit Bass und Schlagzeugklänge in einen Computer einzugeben, um sie dann mit elektronischen Mitteln zu manipulieren, finde ich zum Beispiel einfach fantastisch.

Beat: Aber haben sich aufgrund dieser neuen Möglichkeiten nicht auch die Hörgewohnheiten verändert?

Glenn: Ja, das ist die negative Seite. Das fängt schon damit an, dass sich heute kaum noch jemand die Mühe macht, ein Album komplett anzuhören. Man hört sich im Internet ein Stück an, und wenn der nicht überzeugt, wird die Sache abgehakt. Die Leute geben der Musik einfach keine Entfaltungsmöglichkeiten mehr, und das ist traurig. Man hört Musik einfach nicht mehr auf so wundervolle Weise wie früher. Da hat man sich mit einer Vinylplatte in eine ruhige Ecke verzogen, sie aufgelegt und das Abhören mit einem Glas Wein genossen.

Neulich war ich mit einigen jüngeren Leuten bei einem Konzert, und sie waren begeistert über die Kraft des Klangs und die Vitalität, die da von der Bühne auf sie herab prasselte. Ich habe ihnen gesagt, dass sie das wahrscheinlich nur so intensiv empfinden, weil sie Musik sonst nur über ihr Handy hören. Die meisten Songs kennen die Leute sowieso nur weil sie sie einmal in einem Werbespot gehört haben.